L. Deplazes u.a. (Hrsg.): Bündner Urkundenbuch

Titel
Bündner Urkundenbuch. Band VII 1370–1385


Herausgeber
Deplazes, Lothar; Immacolata, Saulle Hippenmeyer
Erschienen
Chur 2014: Staatsarchiv Graubünden
Anzahl Seiten
756 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Jürg Murano

Mit dem Erscheinen des zweitletzten Bandes, Nummer VII, 2014, nähert sich das seit 1947 laufende Projekt Bündner Urkundenbuch nun doch noch einem glücklichen Ende. Der Band VIII, die Jahre 1386 bis 1400 umfassend, soll den Schlusspunkt setzen. Ediert werden dann gemäss Editionsplan «alle Urkunden, die in irgendeiner Weise das Gebiet des heutigen Kantons Graubünden betreffen», zum grössten Teil in Volltext. Damit ist auch gesagt, dass das Material weit über die Grenzen des heutigen Kantons Graubünden hinausreicht; Mass genommen wird an den spätmittelalterlichen, kirchlichen, politischen und personellen Strukturen. Dabei ist nicht nur an die hierarchischen Verknüpfungen innerhalb der römischen Kirche zu denken, sondern auch an die Grenze des Bistums Chur im Süden bei Meran, dem auch der ganze Vinschgau unterstand. Besonders eng waren auch die Verbindungen mit dem, unter anderem grosse Teile der Ostschweiz umfassenden, grössten deutschen Bistum Konstanz und im Süden mit der Diözese Brixen. Aus den Beziehungen zu den Habsburgern (z.T. eben auch als Herzöge, Könige und Kaiser) gaben sich weitere Anknüpfungspunkte in Richtung Nordund Südtirol. Dies gilt alles analog auch für den sehr mobilen (Hoch-)Adel und nicht zuletzt für die durch Oberrätien führenden Handelsachsen (Passstrassen), sei es nach Venedig oder nach Mailand. Die Erforschung der Beziehungen Oberrätiens zu den südlich angrenzenden, politisch instabilen Gebieten – und damit der dortigen Archive – war eine Spezialität des federführenden, leider schon im Januar 2015 verstorbenen Bearbeiters Dr. Lothar Deplazes; seine Ausbeute für den Band VII des BUB war entsprechend gross. 1 Beeindruckend ist das Archivverzeichnis: 115 Archive von Aarau über Admont bis Zürich und Zwettl im Waldviertel. Verdankenswert sind die 39 Nachträge zu den Bänden II (neu) bis VII. Es folgen 81 Bildwiedergaben von entsprechenden Siegeln und weiter die Notarszeichen von zwölf Notaren. Schliesslich ist auch eine Konkordanztabelle zu den zeitlich zum Band VII gehörigen, in der älteren Literatur viel zitierten Urkunden aus dem alten Bündner Urkundenbuch von Mohr (bzw. Moor), dem Codex diplomaticus III und IV, angefügt. Sehr sorgfältig ist das Namenregister ausgeführt, das für die Lokalisierung mancher Objekte sehr hilfreich sein kann. Ebenfalls sehr wertvoll sind das lateinische und das deutsche Wort- und Sachregister, letzteres besonders, weil nun die Zahl der deutschen Texte (auch im kirchlichen Bereich) deutlich zunimmt, allgemein aber, weil sie die korrekte Beurteilung der rechtlichen Verhältnisse erleichtern.

Band VII bewegt sich nun mit einer Vielzahl von Urkunden im Bereich der wirtschaftlichen und politisch-gesellschaftlichen Umwälzungen des 14. Jahrhunderts auch in Oberrätien. Die zunehmende Schriftlichkeit ermöglicht gleichzeitig Einblicke auch in lokale Bereiche und damit Korrekturen älterer pauschalisierender Urteile. So lässt sich nun zum Teil das allmähliche Ausscheiden der noch im 13. Jahrhundert doch deutlich dominierenden Grafen- und Freiherrengeschlechter klarer fassen, deren Positionen zunehmend an kommunale Gewalten unter der Führung einer ökonomisch potenten Oberschicht übergehen. Der Einfluss der Habsburger, welche die östlich an Oberrätien anschliessenden Gebiete beherrschen, ist aber weiterhin sehr markant. An Österreich sich anzulehnen blieb bei andauerndem faktischem Machtverlust auf die Dauer auch dem Bischof von Chur – nach wie vor Reichsfürst – nicht erspart, selbst wenn ihm die Privilegien Kaiser Karls IV. zeitweise etwas Luft verschafften. Immer deutlicher fassbar wird die Bedeutung Graubündens als Passland mit entsprechenden Konflikten in den Passregionen und Verwicklungen in die Machtkämpfe in Oberitalien. Diverse Dokumente aus der Zeit der 70er Jahre des 14. Jahrhunderts zeigen dies etwa im Kampf des (avignonesischen) Papsttums (Gregor XI.) mit den Visconti in Mailand, vor allem auch um die Positionen in Chiavenna, einem wichtigen Stützpunkt der Visconti im Raum zwischen Como und Mailand. In diesem Zusammenhang wurde auch der Churer Bischof Friedrich II. von Erdingen (1368–1376) vom Papst mit sehr konkreten Weisungen bedacht. – Bemerkenswert für den kommunalen Bereich ist die Neuedition der Stadtordnung von Chur 1368–1381, desgleichen etwa, wie Ammann und Geschworene und die Gemeinde Davos – wenn auch mit Wissen ihres Herrn, Graf Donats von Toggenburg – 1375 recht selbständig eine Fehde im Bereich von Valmalenco mit der Talgemeinde Bergell beilegten, wobei freilich das Gebiet von Bergell, Valle San Giacomo und Umgebung eine sehr alte Konfliktzone (Alpbewirtschaftung!) zwischen Nord- und Südbünden darstellte.

Es versteht sich, dass auch der siebte Band des Bündner Urkundenbuchs dank der enormen Erfahrung der Bearbeiter im Bereich der Publikation von historischen Quellen konsequent hohe Ansprüche erfüllt. Nach dem Abschluss mit Band VIII (bis 1400) wird den historisch Interessierten ein gesicherter Quellenfundus zur Geschichte des mittelalterlichen Graubündens zur Verfügung stehen. Die Bände I bis V sind inzwischen auch auf der Homepage des Staatsarchivs Graubünden online einsehbar. Dabei darf freilich nicht übersehen werden, dass hier im Wesentlichen nur Urkundenmaterial vorgelegt wird. Was konzeptbedingt fehlt, sind insbesondere Urbarien, Jahrzeitbücher, Rödel, Chroniken. Für solche liegen zum Teil Neueditionen vor, so etwa die von U. Brunold und I. Saulle Hippenmeyer bearbeiteten Bände Jahrzeitbücher, Urbare und Rödel Graubündens (v.a. für das Vorderrheintal); anderes wieder muss nach wie vor aus älteren Editionen zusammengetragen werden. Man kann unter diesen Umständen das Ende des Unternehmens Bündner Urkundenbuch bedauern, muss sich aber darüber im Klaren sein, dass nur schon wegen der von Jahrhundert zu Jahrhundert wachsenden Quellenmenge, aber auch der immer höher anfallenden Kosten ein so umfängliches Unternehmen nicht mehr in der Form eines Printmediums realisierbar wäre. Wie weit sich all diese Probleme mit Digitalisierung lösen lassen, wird sich weisen müssen.

1 Vgl. Lothar Deplazes, Chiavenna und der churraÅNtische Raum im Kampf zwischen Papst und Mailand 1372−1378, Chur 2015.

Zitierweise:
Jürg Muraro: Rezension zu: Lothar Deplazes, Immacolata Saulle Hippenmeyer, Bündner Urkundenbuch Band VII 1370–1385, Chur: Staatsarchiv Graubünden 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 66 Nr. 3, 2016, S. 454-455.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 66 Nr. 3, 2016, S. 454-455.

Weitere Informationen
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit